Leben im Widerspruch
Fazit zu den Lügen der Liebe betreffend. Einige Liebeslügen sind jetzt beschrieben, zahlreiche Entwicklungen im Verhältnis von Partnerschaft und Sexualität beleuchtet, unterschiedliche Standpunkte dargestellt und kritisch betrachtet worden. Nun ist es an der Zeit, eine Bilanz zum Komplex der Liebeslügen zu ziehen.
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Eine Zusammenfassung der Lügen der Liebe betreffend.
Wir haben eine Sexualität kennengelernt, die:
- Stets geschichtlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen unterworfen war und ist. Dabei hat sie sich nicht als starr, sondern als beweglich, anpassungsfähig und unauslöschbar gezeigt;
- Gegenstand religiöser Interpretation war, tabuisiert, entwertet, als Sünde betrachtet, erhöht und mit Erlösungserwartungen befrachtet wurde,
- sowohl familiären als auch staatlichen und individuellen Interessen dienen musste und noch dient, – durch alle Zeiten hindurch als Ware gehandelt wurde,
- sich in unterschiedlichen Formen äußert, unter anderem geschlechtlich festgelegt
- aber auch geschlechtsübergreifend praktiziert wird,
- in ihrer Zeugungsfunktion an eine Überlebenspartnerschaft gebunden war, – in ihrer leidenschaftlichen und lustvollen Erscheinungsform zuerst moralisch aus der Ehe verbannt war und später für die Ehe reserviert werden sollte,
- bislang jede ihr gesteckte Grenze überwunden oder untergraben hat,
- über ihren triebhaften Anteil hinaus psychischen Themen und inneren sowie partnerschaftlichen Konflikten Ausdruck verleiht,
- sich als Bühne gesellschaftlicher, paarbezogener und individueller Inszenierungen anbietet,
- heute zum Kriterium funktionierender Beziehungen erhoben ist und gleichzeitig permanent entzaubert wird,
- einen neuen wissenschaftlichen Mythos ihrer Machbarkeit in der Lebenspartnerschaft begründet hat und damit zur Sexualisierung und Pathologisierung von Beziehungen missbraucht wird.
Vom Ende sexueller und partnerschaftlicher Normalität
Anhand des Überblicks wird deutlich:
- Es gibt sie nicht, die »normale« partnerschaftliche Sexualität
- Es gibt keine Sexualität, die für die Dauerpartnerschaft erfunden oder gemacht wurde
- Es gibt nicht einmal so etwas wie natürliche Sexualität und daher auch keine natürliche partnerschaftliche Sexualität
- Es existieren keine verbindlichen Regeln, keine allgemein verpflichtenden Normen im Umgang mit Sexualität. Eine verallgemeinerbare Lösung des Themas »Sexualität und Partnerschaft« war niemals vorhanden und wird sich auch in Zukunft nicht anbieten. Sie existiert nur in den Köpfen von Ideologen und in den Wunschbildern der Partner, als Täuschung, Illusion und in Form von Liebeslügen.
Sich im Widerspruch zurechtfinden
Einerseits Sehnsucht nach fester Beziehung, andererseits unbezähmbare Sexualität, gleichzeitig fehlende Normalität und dennoch Suche nach individueller Zufriedenheit, demokratische Verhandlungen und selbst aufgestellte Regeln – so gegensätzlich sieht die Realität unserer Beziehungen aus.
Daher möchte ich als wichtigstes und, ich hoffe, nachvollziehbares Ergebnis dieses Buches festhalten, dass Partnerschaft heute bedeutet: Im Gegensatz zu leben. Es gibt einen Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Sexualität in Partnerschaften.
Kein Paar findet sich in diesem Widerspruch problemlos zurecht. Denn es gibt ihn nicht, den perfekten Weg, in dem sich Lebenspartnerschaft und Sexualität dauerhaft und zur Zufriedenheit beider vereinigen. Der partnerschaftliche Widerspruch ist nie völlig lösbar, auch wenn dies von Experten gerne und variantenreich behauptet wird.
Lusttrieb, maskiertes Begehren, inszenierte Sexualität, emotionale Wünsche, Rollenteilung, psychische Dynamik, familiäre Aufgaben, Erlösungshoffnungen, individuelle und gesellschaftliche Mythen … zwischen diesen Kräften und Faktoren bewegen sich die Partner, und von ihnen werden sie hin und her geworfen. Durch dieses Spannungsfeld kann man nicht hindurch, ohne gegen Wände zu laufen, über Stricke zu stolpern, in Gruben zu fallen.
Von den etwa dreißig Langzeitpaaren, die länger als fünf Jahre in Beziehung lebten, gaben nur zwei an, dass sie bisher ohne größere Schwierigkeiten mit den Entwicklungen und Veränderungen der sexuellen und erotischen Seite ihrer Partnerschaft umgehen konnten. Was also können Partner überhaupt tun?
Kann der Widerspruch nicht aufgelöst werden, so bleibt Partnern nichts anderes übrig, als
darin nach begehbaren Wegen und nach Orten zu suchen, an denen sie sich aufhalten können. Das können die Partner tun, und daher möchte ich im letzten Abschnitt dieses Buches auf solche Wege und Orte hinweisen.
Wege und Orte im Widerspruch
Partner, die im Widerspruch zwischen Beziehungsideal und -Wirklichkeit leben, sollen die Wege ihrer persönlichen Entwicklung und die Orte ihres Aufenthaltes darin einzig aufgrund individueller Prioritäten wählen. Solche, zwischen den Extremen einer von Sexualität freien Lebenspartnerschaft und einer von Bindung freien Sexualpartnerschaft schließlich gefundene, individuelle Lösungen sind wiederum nicht ewig gültig, sondern ändern sich je nach Lebensphase und Zustand der Partnerschaft.
Ich schildere solche Möglichkeiten im Folgenden daher nicht, um sie als Lösungen hochzuhalten. Ebenso möchte ich mich jeder Bewertung der praktizierten Lebensformen enthalten. Ein Urteil zu den jeweiligen partnerschaftlichen und sexuellen Verhaltensweisen muss sich jeder Leser selbst bilden.
- Es geht mir nicht um richtig oder falsch, moralisch oder unmoralisch, sittlich oder verwerflich
- Es geht weder um Rezepte oder Ratschläge noch um Empfehlungen zur Nachahmung
- Es geht darum zu beschreiben, was es bereits gibt, was Partner völlig unabhängig von Experten gefunden haben, worauf sie bar jeden Anspruches und jeder Ideologie von selbst gekommen sind.
Im Einzelnen geht es dabei um:
- sexuelle Abstinenz in der Lebenspartnerschaft,
- serielle Monogamie,
- Partnerschaft mit Abstand,
- Sexualpartnerschaft,
- geregelte Abwechslung,
- Haupt- und Nebenbeziehungen,
- organisierten Partnertausch,
- kultivierte Selbstbefriedigung,
- gekaufte Sexualität.
Beziehungsverhandlungen
Heute, da sich Mann und Frau nicht mehr aus Gründen des Überlebens zusammentun
müssen, sind einzig individuelle Motive und vor allem Gefühle für das Zustandekommen einer Partnerschaft gültig. Daher kann jeder Mensch wählen, ob er eine Partnerschaft eingehen will, mit wem er sie führen will und in welcher Weise dies geschehen soll. Demokratie, in Form der Wahlfreiheit, hat sich in unseren Beziehungen durchgesetzt.
Das ist die gute und schlechte Nachricht: Es besteht Freiheit.
In dieser Freiheit gibt es keine hilfreiche Orientierung von außen. Jedes Paar und jeder Partner wird sich bei der Wahl seines Orientierungsrahmens, seiner Ideen von Partnerschaft, seiner Ideologie auf sich selbst verlassen müssen – und diese unter Umständen auch gegen Anfechtungen von Experten und Moralaposteln vertreten müssen. Zufriedenheit scheint dabei das einzig langfristig gültige Kriterium zu sein, auf das man sich in der Partnerschaft stützen kann. Womit die Partner zufrieden sind, das sollten sie herausfinden und in ihren Beziehungen etablieren.
Partner tun dies, indem sie über die Form ihrer Partnerschaft verhandeln und so individuell passende Lösungen vereinbaren. Dann gilt, womit beide einverstanden sind. Die Partner schließen also Verträge. Das war schon immer so, nur waren die Verträge früher von Staat, Kirche oder Familie weitestgehend »vorgedruckt«. Heute schreiben die Partner ihre Regeln und Verträge selbst.