Lügen und Mythen der Liebe in der Partnerschaft
Einleitung zu den Lügen der Liebe betreffend: Sie haben ganz sicher auch dieses eine Paar im Freundes- oder Bekanntenkreis, das nicht die Hände voneinander lassen kann. Selbst nach zehn, zwanzig oder dreißig Jahren scheinen sie nicht schnell genug wieder ins heimische Schlafzimmer zu kommen. Unweigerlich wirft das Verhalten dieses Paares bei den anderen Paaren Zweifel auf, ob ihre eigene Beziehung ohne eine derartig brennende Leidenschaft überhaupt noch „etwas wert“ ist. Die Vorstellung, Leidenschaft müsse bis ins hohe Alter existieren, damit die Beziehung „funktioniert“, ist die große Liebeslüge unserer Zeit.
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Die Liebeslüge und Liebes-Irrtümer in sich
Die verkündete Formel lautet: Wer einen Menschen liebt, muss ihn begehren. Wer nicht begehrt, liebt nicht. In unserer Gesellschaft hat sich eine Definition von Liebe etabliert, nach der bei einem wirklichen Paar jede Nacht die Post abgehen muss. Alles, was nicht in dieses Bild passt, wird abgewertet. Dies zeigt sich auch in stereotypen Kneipengesprächen, die auch von Comedians auf der Bühne immer wieder gerne aufgegriffen werden: Männer, die einander mit der Quantität und der Qualität ihrer eigenen Sexualität überbieten, oder Frauen, die hauptsächlich die Leidenschaftlichkeit und Intensität der sexuellen Erlebnisse betonen. Ohne das ist es in den Augen dieser Männer und Frauen keine „echte Liebe“ und keine ernstzunehmende Partnerschaft. Sie ignorieren dabei, dass es einen unterschiedlichen Ausdruck von Sexualität geben kann. Es ist nicht nur die harte, laute, alles umfassende Penetration. Sexualität kann auch aus Berührungen bestehen, aus Küssen und Nähe, aus intensiven zärtlichen Umarmungen oder Kuschelsex.
In glücklichen Langzeitbeziehungen verwandelt sich die leidenschaftliche Liebe im Laufe der Zeit in eine sinnliche Liebe. Die Leidenschaft kann aber auch ganz verschwinden. Alle Formen der Partnerschaft – sei es mit leidenschaftlicher oder mit sinnlicher Liebe oder auch mit Sexualität – können die Echtheit der Beziehung für sich beanspruchen. Man kann sich als Sexualpartner fremd geworden sein und zugleich als Lebenspartner so nah wie nie zuvor sein. In vergangenen Jahrhunderten glaubte man sogar, Sexualität um ihrer selbst willen führe zur Krankheit und Tod.
Hermann Hesse hielt dazu fest: „Je weniger ich im Ganzen an unsere Zeit glauben kann, je mehr ich das Menschentum verkommen und verdorren zu sehen meine, desto weniger stelle ich diesem Verfall die Revolution entgegen und desto mehr glaube ich an die Magie der Liebe.“
Aus der Paarberatung heraus kann ich feststellen: Es gibt Paare, die sind zusammen, weil sie keinen Sex haben. Es gibt Paare, die sind zusammen, weil sie viel Sex haben. Zwischen diesen beiden Polen ist alles möglich. Wenn Sie jedoch erwarten, leidenschaftlicher Sex sei auf Dauer in einer monogamen Beziehung möglich, werden Sie ein Beziehungsproblem bekommen. Sie erzeugen dieses Problem durch den Versuch, eine Lösung zu finden, um in einer monogamen Beziehung dauerhaft leidenschaftlichen Sex zu haben. In Kapitel 3 werden Ihnen Paare und Einzelpartner vorgestellt, die mit ihren persönlichen Beziehungsgeschichten zeigen, welche Lösungen möglich sind. Bei manchen spielt Sex eine große Rolle, für andere hingegen ist Sex bedeutungslos.
Über die fehlende Forschung zur Psychologie der Liebe
In einer Buchhandlung finden Sie viele Bücher über Sexualität, aber nur sehr wenige Bücher über die Liebe. Die Sexualität scheint ein beliebtes Forschungsthema zu sein, dem sich die Mediziner und Psychologen unserer Zeit widmen. Warum interessieren sich so wenige Forscher für die Liebe? Wenn Sie sich einmal die Mühe machen, einen Blick in das Vorlesungsverzeichnis einer hiesigen Hochschule zu werfen, dann machen Sie eine interessante Entdeckung. Sie werden viele Veranstaltungen zu Themen wie Testpsychologie, experimentelle Wahrnehmungspsychologie, Statistik, klinische Psychologie, Werbepsychologie, Charakterologie, Entwicklungspsychologie, Betriebspsychologie usw. finden. Aber über die „Psychologie der Liebe“ finden Sie ganz sicher keine einzige. Bis heute steht die Psychologie als Wissenschaft nicht gleichrangig neben anderen Wissenschaften. Sie ringt um ihre Anerkennung, auch durch die Wahl ihrer Methoden. Doch zur Liebe lassen sich keine spektakulären Experimente mit klaren oder gar verlässlichen Ergebnissen machen. Sie lässt sich nicht ebenso gewissenhaft erforschen wie ein Metall oder ein chemisches Element. Man kann keine Werte in einer Tabelle erfassen und keine quantitativen Erhebungen aufstellen – so wie es eben bei den „seriösen Wissenschaften“ möglich ist. Gute Wissenschaftler kommen aus anderen Fachgebieten – so die allgemeine Auffassung. Schade. Denn trotz aller wissenschaftlicher Mängel existiert die Liebe nun einmal, auch wenn man sie nicht in die Hand nehmen oder unter ein Mikroskop legen kann. Die Liebe zu erforschen, erfordert mehr. Es braucht dazu gedankliche Arbeit. Über die Liebe muss man nachdenken und man muss sie versuchen, zu beschreiben. Das alles fällt in den Aufgabenbereich der philosophischen Psychologie. Das ist mühsam und oft undankbar. Angesichts dessen gibt es so wenige Abhandlungen und Bücher über die Liebe.
Die Liebe ist keine Frage des Verstandes
Ich nehme diese Arbeit auf mich und möchte mich auf den folgenden Seiten mit der Liebe auseinandersetzen. Ohne Mikroskop und Schaltkreise. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, über die Liebe nachzudenken und in den Beschreibungen auch meine ganz persönlichen Erfahrungen zu platzieren. Auch die Erlebnisse meiner Mitmenschen, meiner Freunde und der Paare aus meiner Beratungspraxis sollen in diese Überlegungen einfließen. Ich bin mit offenen Augen durch den Tag gegangen, habe Paare beobachtet und mir insgeheim die Frage gestellt, was tatsächlich Liebe ist. Wo findet sie wahrlich statt und wo liegt ein sorgsam gefalteter Deckmantel darüber? Wer sich einen genauen Blick auf die Liebe gönnt, wird in ihr ein zentrales Geschehen der Psyche erkennen. Viele Probleme, die uns im Alltag umtreiben, lassen sich auf Probleme in der Liebe zurückführen. Alle Fragen nach der Möglichkeit des Glücks oder den Ursachen des Unglücks kreisen oftmals nur um dieses eine Thema: die Liebe! Um sich dem Thema zu nähern, reicht es nicht aus, eine einseitige Kolumne zu verfassen. Doch in bunten Zeitschriften finden Sie häufig einen netten, reißerischen Artikel mit ein paar Schlagworten, der für sich beansprucht, das Thema „Liebe“ in all seinen Facetten erfasst zu haben. Da Liebe aber weder eine Formel noch eine Angelegenheit des erklärenden Verstandes ist, sondern ein grundlegendes Gefühl, braucht es mehr. Viel mehr. Sie können solche Zeitungsartikel immer wieder lesen, sie können eine Leseliste mit allen verfügbaren wissenschaftlichen Abhandlungen durchgehen – wenn Sie „Liebe“ nur als ein Thema mit dem Verstand erfassen, werden Sie ihren Wert nicht begreifen können. Die Liebe ist ein umfassender Seins-Zustand, den Sie sich nicht über das reine Denken erschließen können. Um einen klaren Blick zu bekommen, ist es zunächst wichtig, mit den Mythen aufzuräumen. Das ist schon in den Märchen so. Um zur Prinzessin zu gelangen, muss der Prinz sich zunächst einen Weg durch die Dornen bahnen. Erst dahinter wird das Gute, das Richtige sichtbar. Wenn Sie meinen Überlegungen folgen möchten, können Sie anschließend versuchen, daraus die für Ihre persönliche Situation passenden Schlüsse zu ziehen.