Wir gehen einen gemeinsamen Weg
Wir haben eine ideale Beziehung und gehen immer einen gemeinsamen Weg. Provokant gesagt, wäre das fatal. In vielen Hollywoodfilmen und sogar vor dem Traualtar wird propagiert, man gehe nun einen gemeinsamen Weg. Noch provokanter gesehen, bedeutet die partnerschaftliche Verbindung dann so etwas wie ein „Aneinanderkleben“. Man bestreiche beide Seiten mit einem Stück Sekundenkleber, auf dass sie fest und untrennbar zusammenbleiben. Eine lange Beziehung führen: Verliebt, verlobt, verheiratet, ...
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Ich sehe die ideale Beziehung nicht darin, möglichst viel gemeinsam zu machen, sondern einander möglichst viele Freiräume zu lassen. In der idealen Beziehung, wie ich sie mir vorstelle, gibt es nicht einen, sondern ganze drei Wege, die beschritten werden wollen. Jeder Partner behält dabei seine eigene Richtung bei. Er geht den vorherigen Lebensweg weiter, der ihn gelegentlich auch auf den jedoch entstandenen dritten Lebensweg führt, der gemeinsam mit dem Partner beschritten wird. Das Paar, das niemals auch nur einen Schritt ohne den anderen tut, ist nicht das ideale Paar. Diese Beziehung ist anfällig und zerbrechlich. Freiheit und Eigenständigkeit sind wichtige Standbeine in einer Beziehung. Wer sich mit anderen trifft, eigene Erfahrungen macht und etwas erlebt, ohne dass der Partner immer direkt danebensteht, bringt wichtige neue Anregungen und Gesprächsstoff in die Beziehung ein. Eigene Erlebnisse sind wie ein Motor, der die Beziehung in Gang hält. Dieser Motor benötigt ständig neues Öl auf dem Weg zur idealen Beziehung.
Das Gedicht „Von der Ehe“ stammt aus der Feder von Khalil Gibran.
Ihr wurdet zusammen geboren,
und ihr werdet auf immer zusammen sein.
Ihr werdet zusammen sein,
wenn die weißen Flügel des Todes eure Tage scheiden.
Ja, ihr werdet selbst im stummen Gedenken Gottes zusammen sein.
Aber lasst Raum zwischen euch.
Und lasst die Winde des Himmels zwischen euch tanzen.
Liebt einander, aber macht die Liebe nicht zur Fessel:
Lasst sie eher ein wogendes Meer zwischen den Ufern eurer Seelen sein.
Füllt einander den Becher, aber trinkt nicht aus einem Becher.
Gebt einander von eurem Brot, aber esst nicht vom selben Laib.
Singt und tanzt zusammen und seid fröhlich, aber lasst jeden von euch allein sein,
So wie die Saiten einer Laute allein sind und doch von derselben Musik erzittern.
Gebt eure Herzen, aber nicht in des anderen Obhut.
Denn nur die Hand des Lebens kann eure Herzen umfassen.
Und steht zusammen, doch nicht zu nah:
Denn die Säulen des Tempels stehen für sich,
Und die Eiche und die Zypresse wachsen nicht im Schatten der anderen.
Kahlil Gibran (1883-1931), syrisch-amerik. Dichter u. Maler