Das Ringen um die Beziehung und der Kampf um die Sexualität
Eine Beziehung und ihre Entwicklung zu realisieren, meint hauptsächlich, Vorstellungen aufzugeben, wie sie in der Verliebtheit entstanden sind oder darin scheinbar bestätigt wurden.
Da es sich bei diesen Illusionen nicht bloß um gedankliche Konzepte, sondern auch um emotionale Erwartungen und zum Teil existenzielle Gefühle handelt, halten die Partner krampfhaft an ihrer ursprünglichen Wahrnehmung der Beziehung fest. Sie beginnen um das, was jeder für die Beziehung hält, zu ringen und wollen auf alle Fälle das erhalten, was ihnen die Beziehung gab und langfristig zu versprechen schien.
Dieses Ringen umfasst selbstverständlich auch den sexuellen Bereich der Beziehung, der vom Kampf zwischen Wunsch und Wirklichkeit nicht verschont bleibt. Konflikte und Verletzungen aus den nichtsexuellen Begegnungsebenen sowie Stress und Belastungen des Alltags beeinträchtigen den erotischen Genuss, und nicht selten werden Machtkämpfe auf sexuellem Gebiet ausgetragen. Dorthin, wo bisher leidenschaftliche Begegnung möglich war und die Partner sich der erträumten Ganzliebe am nächsten wähnten, in der erotischen und sinnlichen Begegnung, dehnt sich allmählich der Alltag aus und hinterlässt seine Spuren. Das anfängliche Begehren geht zurück, die Kraft der Leidenschaft lässt nach.
Dieser Entwicklung liegen keineswegs nur Konflikte zugrunde, sie ist, ebenso auf sinnvolle und selbstverständliche Zusammenhänge zurückzuführen und soll sogar zum Schutz der Lebenspartnerschaft beitragen. Vor dem Hintergrund des konventionellen Beziehungsmodells und der Wünsche der Partner aber birgt der Rückgang des Begehrens unberechenbare Gefahren.
Das Dilemma vieler Beziehungen liegt darin, dass … die Sexualität wegen ihrer starken Faszinationen und Lustqualitäten eingeordnet werden muss, wenn sie nicht dauernd als Gefahr erlebt werden sollte
Die Partner suchen das Begehren, aber können es seltener miteinander finden. Verunsichert schauen sie sich um und finden sogleich eine Reihe professioneller Helfer. Diese versprechen, ihnen beim Kampf, um die Sexualität beizustehen, um die Beziehung zu retten. Aber sie versprechen in vielen Fällen noch mehr, nämlich den Erfolg dieser Bemühungen. Insofern lässt sich mitunter von einer Verstärkung partnerschaftlicher Illusionen durch Experten sprechen. Betrachten wir dies näher.
Experten zeigen im Großen und Ganzen zweierlei Reaktion auf den Rückgang der Leidenschaft. Entweder wird der Widerspruch zwischen Bindung und Begehren geleugnet, und es wird partnerschaftliche Arbeit zum Erhalt der Sexualität verordnet, oder es wird zum Verzicht auf Leidenschaft unter Berufung auf eine so genannte Reife aufgerufen, wobei eine einigermaßen zufrieden stellende Partnersexualität erhalten bleiben soll. Wir wollen einige solcher Aussagen betrachten.
Dabei will ich zeigen, dass das, was wir alle heute suchen und was uns so schwer gelingt, nämlich eine lebendige erotische Liebe und eine verlässliche Dauerhaftigkeit, keine Widersprüche sind, vielmehr dass beide aus dem Wesen der Geschlechterliebe heraus sogar notwendig zusammengehörens.
Hier wird ein Widerspruch zwischen Bindung und Begehren geleugnet und sogar das glatte Gegenteil behauptet. Das ergebe sich »notwendig« aus einem so genannten i> Wesen der Geschlechterliebe« , denn:
Worum es bei Sexualität jedoch eigentlich geht, ist die Begegnung mit einem selbst und mit dem Du. (1)
»Eigentlich« geht es um die Begegnung mit sich und dem Du, aber in Wirklichkeit doch um vieles andere mehr. Hier wird Sexualität auf die personale Begegnung festgelegt und der Partnerschaft als Mittel sozialer Kommunikation untergeordnet. Noch weiter geht die nächste Aussage:
Demgegenüber ist zu betonen, dass es in der Sexualität zentral um den anderen geht, … Der Drang nach sexuellem Erleben sagt: Es drängt mich danach, mich Dir zu schenken. Das ist der Kern jeder wirklich sexuellen Begegnung.
Hier ist Partnersexualität endlich vom Trieb befreit, darf weder Weg zur Transzendenz noch zur Lustbefriedigung sein, sondern ist zum Mittel der Paarbindung erhoben und damit eigentlich funktionalisiert. In solchen Expertenmeinungen fällt auf, dass die Sexualität nicht einfach außer Acht gelassen wird; dafür ist sie zu wichtig und der Dauerbeziehung zu gefährlich. Gerade deshalb, weil sie unberechenbar ist, soll sie kontrolliert und in die Ehe integriert werden, und deshalb kommen Partnerschaften ohne Sexualität angeblich nicht aus.
Eines ist sicher: Die Sexualität macht die Paarbeziehung zur Paarbeziehung. Ohne Sexualität ist die Beziehung der Partner vielleicht eine Alt Eltern-Kind-Beziehung, oder das Paar ist ein gutes Arbeitsteam, das seine Aufgaben kooperativ und reibungslos erledigt, oder es ist eine Alt Geschwister- oder Freundespaar ... Das sind zwar Möglichkeiten, wie Paare auch miteinander leben können, aber dann leben sie nicht eigentlich als Frau und Mann zusammen.
Paare ohne Sexualität leben als Mann und Frau zusammen.
Eine derartige Reduzierung der Mann/ Frau-Beziehung auf sexuelle Komponenten scheint keine Probleme zu bereiten. Seitenlang ließen sich ähnliche Zitate anführen, die das emsige Bemühen um den Erhalt der Partnersexualität zeigen und doch eigentlich als Illusionen der Experten selbst erscheinen.
Zur Beschwörung der dauersexuellen Paarbindung müssen allenthalben Begriffe wie Intimität, Nähe, Reife, Verzicht, Hingabe und ähnliche herhalten. Daraus entstehe die Sexualität der Partner. Alles andere sei nicht »eigentlich«, nicht »wirklich«, nicht "dem Kerne der Partnerliebe entsprechend oder treffe ihr »eigentliches Wesen« nicht. Und wie erreicht man eine solche Reife und Hingabe? Dazu gibt es beinahe lückenlose Anleitungen und eine Reihe von Anforderungen.
Michael Lukas Moeller berichtet, dass er lange Zeit Konfliktfähigkeit für die wichtigste Voraussetzung einer gelingenden Beziehung hielt. Heute wertet er Entwicklungsfähigkeit noch höher. Neben einer ausgeprägten Kommunikationsfähigkeit, versteht sich. Anscheinend muss man erst zum perfekten Menschen werden, um eine gelingende Partnerschaft führen zu können.
Bei Jellouschek "gilt es«, ist es ›wichtig‹, da muss man«, da "darf man keinesfalls«, denn "nur wenn« oder "nur wer« das und jenes »beachtet« und »bedenkt«, dass etwas "eingeübt werden muss«, dem wird die hohe Kunst der Partnerschaft zuteil. Doch zuvor "braucht es ein starkes Ich«, denn "um mich hingeben zu können, muss ich mich erst selbst besitzen«, und "deshalb ist die Arbeit am eigenen Individuum ... so unverzichtbar«; und was es "außerdem benötigt, ist das Einüben der eigentlichen Hingabe.(4)'
Da kann man mit Recht von Arbeit sprechen.
Hinter all dem steht die Vorstellung der personalen Liebe, der alles andere wie von selbst folgt, natürlich auch Erotik und Sexualität. Die personale Liebe beruht auf psychischen Elementen. Hier tun sich Partner zusammen, weil sie gemeinsam "ein Ganzes-ergeben, sich also in ihren psychischen Eigenschaften ergänzen. Auch wenn man die Realität von personaler Liebe und die Kraft der Wesensergänzung selbstverständlich anerkennen muss, weil sie tatsächlich einen wichtigen Aspekt der meisten Partnerschaften darstellt, so beruht gerade diese Liebe auf den Personen, auf deren psychischen Eigenarten, und eben nicht auf Sexualität. Daher stellt sich die Frage, warum diese Liebe den sexuellen Ausdruck benötigen und die sexuelle Treue fordern sollte. Partnerschaft meint doch im Grunde, dass sich zwei zusammentun, um eine gemeinsame Aufgabe zu erfüllen; und diese bestünde in der Ehe vorwiegend in der gemeinsamen Bewältigung des Lebens mit seinen Höhen und Tiefen und der Organisation des Alltags mit seinen Anforderungen.
Wer alltäglicher Harmonie und Wesensergänzung den Vorrang gibt, und das tun aus meiner Sicht die meisten Partner und Experten, sollte die Integration der Sexualität nicht fordern und schon gar nicht die partnerschaftliche Sexualität zur Grundlage oder zum wesensmäßigen Bestandteil einer Beziehung erklären. Verständlich ist es natürlich. Man will das eine haben, die Lebenspartnerschaft, und auf das andere, auf Leidenschaft und Begehren, nicht verzichten; und daher wird sich um die Sexualität bemüht.
Die Experten neigen also dazu, eine Beziehung als »gestört« zu betrachten, sobald sie die erwartete sexuelle Befriedigung nicht mehr liefert, denn eine gestörte Beziehung ist Voraussetzung jeder Paartherapie. Diese soll die Partner zur umfassenden Liebe befähigen.