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Sexualität zwischen Erfüllung und Frustration

Warum sich die Leidenschaft in einer Beziehung verändert

Sexualität zwischen Erfüllung und Frustration. Unser Bild von einer erfüllenden Sexualität wird geprägt von TV-Filmen über leidenschaftliche Paare, die auch nach der Silberhochzeit kaum eine Nacht für ihre Liebesspiele auslassen. Artikel in Zeitschriften suggerieren, dass ein Orgasmus beim Liebesakt verpflichtend ist – ebenso wie eine dauerhafte Potenz und Libido. Dieser Druck der sexuellen Erfüllung lastet schwer auf einem Liebespaar. Wer dauerhaft glücklich sein möchte, muss demnach alle sexuellen Forderungen erfüllen, den anderen glücklich machen, um ihn oder sie nicht an eine leidenschaftlichere Affäre zu verlieren. 

Bedeutung sexueller Zufriedenheit für die Partnerschaft

Das einst von Martin Luther postulierte „zweimal Sex pro Woche“ schwebt wie ein Damoklesschwert über den Köpfen vieler Paare. Was, wenn ich dieses Rhythmus auf Dauer nicht einhalten kann – oder so gar keinen Sex mehr möchte? Als Paarberater kenne ich darauf nur eine Antwort: Dann ist das ganz normal, denn sexuelle Leidenschaft nimmt parallel zum Alter und Dauer einer Beziehung ab. Die Natur hat es so eingerichtet, dass wir Menschen Freude an der Sexualität haben, um uns fortzupflanzen. Je älter wir werden, desto weniger spielt aus der Sicht der Biologie die Fortpflanzung eine Rolle beim Sex. Daher wird auch die Lust mit zunehmendem Alter weniger. Die gute Nachricht ist: Je mehr die Quantität abnimmt, desto mehr kann die Qualität steigen. Ich habe in meiner Praxis bereits das gesamte Spektrum erlebt: Paare, die sehr viel Sex haben und Paare, die auch mit wenig Sex zufrieden sind, aber auch Paare, die keinen Sex haben und trotzdem glücklich sind. Es gilt „Lebt die Liebe, die Ihr habt und das, was möglich ist“. Wichtig ist, dass beide Seiten ähnlich empfinden. Andernfalls steht die Beziehung vor einer großen Herausforderung, für die es eine Lösung geben sollte. Es gibt viele Wege, die Liebe zu leben.

Menschen, die sehr viel Sex in einer Beziehung erwarten, benötigen häufig Selbstbestätigung. Sie haben durch die Berührungen und die Leidenschaft das Gefühl, begehrt und wichtig zu sein für den Anderen. An dieser Stelle muss sich jeder selbst die Frage stellen, warum er diese Fremdbestätigung benötigt und ob es aus Defiziten entsteht, die in der eigenen Selbstwahrnehmung begründet sind. Die Suche nach Bestätigung ist naturgegeben – wird aber zum Problem, wenn es in dieser Hinsicht zwischen den Partnern ein Missverhältnis gibt. Beziehungen verändern sich. Daher kommt es in fast jeder Beziehung zu sexlosen oder sexarmen Phasen.

Die Hauptursachen für unerfüllte Sexualität

Die Hauptursachen von unerfüllter Sexualität sind vielschichtig. Es kommen Kinder in die Welt, der Beruf fordert alle Kräfte ein oder andere Ereignisse verändern die Beziehung der Partner. Oft steckt auch die Angst dahinter, die sexuellen Bedürfnisse des Partners nicht mehr erfüllen zu können oder die Angst, schlechten Sex zu erleben und damit der Beziehung zu schaden. Manchmal reichen die Gründe für unerfüllte Sexualität sogar bis in die Kindheit zurück. Ein Kind, das nie das neckende Spiel zwischen den Eltern und die knisternde Spannung erlebt hat, kann Probleme bekommen, selbst eine solche Spannung aufzubauen. Fast immer ist eine unerfüllte Sexualität auf ein Nähe-Distanz-Problem zurückzuführen. Es gibt in einer Partnerschaft immer den Partner, der mehr Nähe benötigt und denjenigen, der sich mehr Distanz wünscht. Zu viel Nähe kann erdrücken, zu viel Distanz ebenfalls schädlich sein. Hier sind beide Partner gefragt, das Verhältnis zwischen Nähe und Distanz kontinuierlich immer wieder neu auszuloten. 

Spätestens dann, wenn der Sex merklich abnimmt, steigt die Angst vor einem Scheitern der Beziehung. Wenn der Mann in einer klassischen Partnerschaft weniger Sex braucht, dann fühlt sich die Frau nicht begehrt, hegt Selbstzweifel. Hat die Frau eine geringere Libido, können die Männer ihren Trieb nicht ausleben. Auf beiden Seiten fehlt die Selbstbestätigung. Gibt es einen Ausweg aus dieser Situation? Ein erster Schritt wäre es, die geringere „Lust“ des Anderen nicht persönlich zu nehmen, sondern ihn als ganz natürlichen Umstand wahrzunehmen, den die Natur nun einmal so eingerichtet hat.

Sexuelle Probleme überwinden

Die Sexualität ist unbefriedigend. Ein Partner möchte mehr Sex als der andere, es gibt Orgasmus-Probleme oder eine nachlassende Libido? Dann ist der erste Schritt zur Lösung des Problems, es nicht als Problem anzusehen. Das klingt erst einmal seltsam, aber Sie werden gleich verstehen, worauf ich hinauswill.

Der erste Schritt ist die Wahrnehmung, dass sich etwas verändert hat in der Beziehung. Sie haben weniger Sex. Das muss aber nicht zwangsweise negativ sein, denn es gibt sehr viele Möglichkeiten, die jetzt fehlende Nähe und Leidenschaft anders auszuleben. Hier kann jedes Paar für sich einen anderen Weg finden. Die einen nutzen gemeinsame Zeit, um sich aneinander zu kuscheln und sich bewusst aufeinander zu konzentrieren. Die anderen suchen einen Paar- und Sexualberater auf, der mit dem Paar gemeinsam die Unsicherheiten aufarbeitet und einen Weg findet, wie sie mit der neuen Situation umgehen können. Wiederum andere planen, sich inspirieren zu lassen und gehen in den Swingerclub oder öffnen die Beziehung für sexuelle Abendsteuer. Zumindest ist es eine viel beobachtete Tatsache, dass ein Seitensprung eine „neue“ sexuelle Lust auslöst. Wenn ein heimlicher Seitensprung herauskommt, stellt das Paar oft fest, dass gerade in der Zeit, die Lust wieder da war. Man spricht hier vom Coolidge-Effekt.

Man könnte endlos Geschichten aufzählen von Frauen und vorgetäuschten Orgasmen und Männern, die angestrengt ihre Potenz beweisen und anderen Schwindeleien. Die erotische Verpflichtung, das unausgesprochene Versprechen gegenseitiger sexueller Erfüllung lastet schwer auf den Gemütern der Partner.

Einen Satz wie »Für deine sexuelle Erfüllung fühle ich mich nicht verantwortlich.« auszusprechen oder zuzugeben, dass man sich den Anforderungen einer Sexualität im Dienste der Paarbindung auf Dauer nicht gewachsen und daher überfordert fühlt, fällt ungeheuer schwer, denn es steht einiges auf dem Spiel. Spontan würde der Einwand auftauchen: „Wenn es mit dem Sex nicht klappt, wozu habe ich dann eine Partnerschaft?“

Es darf nicht sein – weil die Ansprüche an Beziehungen so extrem hoch liegen. Jeder Partner muss sich für die sexuelle Erfüllung des anderen zuständig fühlen, sonst melden sich warnend Angst- und Schuldgefühle: „Pass auf, streng dich an, sonst geht er/sie.“

Vor allem Frauen fällt es schwer, mit dem Partner offen über das Thema zu sprechen. Auch hier kann der Paarberater einfühlsam einen Weg finden, die eigenen Wünsche und Probleme aussprechen zu können. Wichtig ist, zu erkennen, dass derjenige, der das Problem in der Partnerschaft hat, auch für die Lösung des Problems zuständig ist. Sehnt sich ein Partner nach mehr Sex in der Beziehung, muss er an diesem Problem arbeiten, statt einfach mehr Sex vom Partner zu fordern.

Forderungen und Erwartungen sind in einer Beziehung generell fehl am Platz. Niemand geht mit einer Beziehung gleichzeitig die Verpflichtung ein, sich dem Partner hinzugeben. Daher hat auch kein Partner das Recht, Druck auf den Anderen auszuüben. Druck ist der größte Verhinderungsgrund für eine erfüllende Sexualität und führt höchstwahrscheinlich zum Scheitern der Partnerschaft. Der Andere ist nicht dazu da, einen selbst glücklich zu machen. Diese Verantwortlichkeit liegt bei jedem selbst. 

Beziehung ja, Sexualität nein – geht das? 

Ja. Ich habe in den vielen Jahren meiner Praxis so einige Beziehungen erlebt, die ganz und gar ohne Sexualität auskommen und zuverlässig funktionieren. Sexlose Beziehungen entstehen auf zweierlei Art. Es gibt Partnerschaften, die kommen von Anfang an ohne Sex aus. Die Beziehung findet auf anderen Ebenen statt, auf denen die Sexualität keine Rolle spielt. Wenn beide Partner keinen Sex wollen, dann gibt es auch kein Problem. Die Regel ist allerdings, dass sich eine Beziehung in dieser Hinsicht verändert. Am Anfang haben beide Partner Spaß an häufigem und leidenschaftlichem Sex. Später wird der Sex weniger und schläft zu einem anderen Zeitpunkt ganz ein. Wenn diese Entwicklung für beide Partner okay ist, dann kann die Beziehung trotzdem funktionieren. Gibt es auf anderer Ebene ausreichend Gemeinsamkeiten, Bestätigung und Nähe, kann eine Beziehung ohne Sexualität genauso erfüllend sein wie eine Partnerschaft, in der Sex eine große Rolle spielt. 

Ob es dauerhaft keinen Sex mehr gibt oder Paare nur in einer Phase stecken, in der es weniger Leidenschaft gibt: Das ist kein Grund, sich Sorgen zu machen oder die Beziehung infrage zu stellen. Solange beide Partner sich lieben und in einer erfüllenden Partnerschaft leben, kann diese mit wenig, auch ganz und gar ohne Sexualität auskommen.


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