Wie Sie sich seltener gekränkt fühlen
In unserem Leben spüren wir schnell, wie verwundbar wir sind. Es gibt einen empfindlichen Kern in jedem Menschen, der sehr verletzlich ist. Um Schmerzen zu vermeiden, haben wir uns Verhaltensweisen angewöhnt, um uns vor Verletzungen zu schützen. Wir haben trainiert, unsere Gefühle zu unterdrücken, eine Art Immunisierung gegenüber dem Leben. Unsere Wahrnehmungen filtern wir so, dass sie passen und nicht an unser Innerstes heranreichen können. Das alles hat aber einen sehr hohen Preis.
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Abwehrhaltung als Reaktion aus Kränkungen
Die meisten Menschen haben einen Automatismus entwickelt, wie sie mit Kränkungen umgehen: Sie entwickeln eine Abwehrhaltung.
Ein Beispiel
Sie haben sich im Job bei einer Aufgabe sehr viel Mühe gegeben und sind stolz auf das Ergebnis. Als Sie es dem Chef präsentieren, findet er nur kritische Worte und wertet Ihre Arbeit ab. Wie reagieren Sie darauf? Vermutlich werden Sie sich wenige Minuten später bei Ihrer Arbeitskollegin beschweren, dass der Chef Ihre Arbeit gar nicht richtig angesehen hat oder einfach selbst nichts davon versteht und gute nicht von schlechten Leistungen unterscheiden kann.
In den wenigsten Fällen würden sich Mitarbeiter in so einer Situation selbst hinterfragen und überlegen, was sie eventuell doch falsch gemacht haben könnten. Wir sind stattdessen lieber beleidigt. Dieses Muster übertragen wir auch auf unsere Beziehungen. Es reicht schon aus, dass der Partner den Abend lieber mal mit einem alten Freund verbringen möchte statt mit uns, dass wir uns schmollend wegdrehen und die nächsten 20 Anrufe nicht mehr beantworten.
Gekränkt zu sein bedeutet aber nichts anderes, als dass der Partner ein Gefühl in mir ausgelöst hat, das nicht willkommen ist. Ich schiebe die Verantwortung für meine Gefühle ab, indem ich verlange, dass der Partner das Verhalten abstellt, das mich so kränkt.
Warum fühlen wir uns so tief verletzt, wenn sich der Partner einem anderen Menschen zuwendet? Er zeigt uns unsere tiefe Sehnsucht, ganz mit einem Menschen zu verschmelzen und gleichzeitig die Unmöglichkeit dieses Wunsches. Meine Anhängigkeit an mein Gegenüber wird mir bewusst; ein oft schmerzliches und auch demütigendes Gefühl, das meine eigene Bedürftigkeit zutage fördert. Es ist also besser, all dies nicht zu spüren und es gar nicht erst so weit kommen zu lassen.
Wie können Kränkungen in der Partnerschaft überwunden werden?
Kränkungen haben dann keine Chance mehr, wenn Sie bereit sind, all diese Gefühle auszuhalten. Erst in diesem Moment können Sie alles, was Sie bekommen, als Geschenk wahrnehmen und erkennen keinen Mangel mehr dahinter. Wenn diese Bereitschaft nicht existiert, dann beginnen die Forderungen. Sie fordern Liebe, Treue, Zeit und all das ein, statt zu warten, bis es Ihnen als Geschenk überreicht wird.
Letztlich können wir nicht absolut kränkungsfrei durch das Leben gehen. Zu einem anderen Zeitpunkt kommt die Kindheit hoch. Machen Sie sich bewusst, auf welchen Boden Ihrer Kindheit diese aktuelle Kränkung fällt. War das Gesagte wirklich so schlimm? Neigen Sie dazu, Inhalte rasch als Kritik und Kränkung aufzufassen? Wurden Sie als Kind schon in vielen Fällen gekränkt?
Aber es gibt noch einen anderen Weg: Stärken Sie Ihr Selbstwertgefühl, Selbstbewusstsein und Ihre Unabhängigkeit. Es gibt Menschen, die können sagen, „Ich bin nicht kränkungsfähig“ oder „ich bin nicht beleidigungsfähig“, das sind keine „Übermenschen“, sondern Menschen, die erkannt haben, dass nur sie selbst für ihre Gefühle verantwortlich sind.
Seien Sie sich bewusst:
Allein Ihre Bewertung der Botschaft, bestimmt, wie Sie sich fühlen.
Jede Bewertung ist ein Vergleich. Womit vergleichen Sie? Was ist für Sie schlimm?
Eine Bewertung ist ein Vorgang, der den Wert von etwas abschätzt, festlegt. Überlegen Sie, welche Gefühle in Ihnen entstehen, wenn Sie jemand bewertet. Es kann Lob oder auch Kritik sein. Meist hat dies mit dem Selbstwert zu tun. Größtenteils vergleichen Sie es mit Ihrem Selbstwert.
Haben Sie ein gesundes, stabiles Selbstwertgefühl, dann können Sie das, was der andere sagt, relativieren.
Lob können Sie mit Freude annehmen.
Tadel, Kritik, Vorwurf können Sie als die Meinung des Gegenübers sehen und darüber lächeln.
Sie können nie so leben, dass es alle Menschen gleichsehen. Jeder hat seine Sicht der Dinge.
Tadel, Kritik, Vorwurf sind nur dann schlimm, wenn man Angst davor hat, dass jemand anders hinter die Maske schaut. Was zum Beispiel bei Narzissten der Fall ist. Die haben gewiss kein Selbstwertgefühl, sind aber gute Blender. Wenn dann jemand hinter die Maske sieht, sehen Sie sich ertappt.
Ein paar weitere Beispiele für Kränkungen:
- Die/die Partner(in) will keinen Sex mehr (Zurückweisung, Abwertung)
- Ihre Nachbarn werden zum Grillfest eingeladen und Sie nicht! (Ausgrenzung)
- Ihr Partner/in fährt allein oder mit jemand anders in Urlaub und fragt Sie nicht (Bevorzugung, Abwertung, Verlustangst, nicht mehr wichtig sein)
- Ihr Partner nimmt sich viel mehr Zeit für seine Hobbys als für Sie (Bevorzugung, Abwertung)
- Ihre Kollegin „schneidet“ dich im Büro und spricht kein Wort mit Ihnen – mit allen anderen Kollegen hat sie ein sehr freundliches Verhältnis (Bevorzugung, Abwertung)
- Ihr Partner ist sehr geizig und lädt Sie nur selten ein (Abwertung, nicht wichtig sein)
- Ihre Mutter lobt immer nur Ihren Bruder und fast nie Sie (Abwertung, nicht wichtig sein)
Zunächst einmal kann mich nur jemand kränken, der mir wichtig ist, mir nahesteht, in einer engen und bedeutsamen Beziehung zu mir ist. Ein mir völlig gleichgültiger Mensch ist kaum in der Lage, mich ernsthaft zu kränken. Er kann mich höchstens verärgern oder provozieren. Entscheidend ist also, dass der Sender der Kränkungsbotschaft mir etwas bedeutet, mir seine Meinung über meine Person und mich wichtig ist. Denn: Kränkung wertet ab! Sie greift massiv unsere Persönlichkeit an, stellt unsere Integrität infrage! Sie trifft uns in unserem Innersten und destabilisiert uns dort!
Wenn Sie aber unabhängig sind und ein gesundes Selbstwertgefühl haben, wissen Sie, dass Ihre Integrität und Autonomie nicht in Gefahr sind.
Titel: Wie Beleidigungen und Kränkungen entstehen